In Erinnerung an Peter Sibley (19. 01. 1942 – 4. 04. 2019)

Adieu Pete, mein Lieber, lass es dir gut gehen, wohin immer du unterwegs bist! Uns hat mehr verbunden, als der gemeinsame Geburtstag am jeweils 19. Januar – den wir mehrfach zusammen feierten. Gemeinsam mit unseren Nachbarn im Mehrgenerationen-Wonprojekt Lebensort Vielfalt der Schwulenberatung Berlin – als Lebensmittelpunkt im Herzen Charlottenburgs. Wo wir uns erstmals nach seiner Eröffnung im Frühsommer 2012 begegnet sind. Als einer für uns alle überwältigenden Erfahrung – die es in sich hatte. Mit dir, als dem damals bedauerlichen Opfer eines Schlaganfalls. Weshalb du an den Rollstuhl gefesselt bleiben solltest. Und darauf angewiesen, dich zwangsweise von deinem früheren Leben zu verabschieden.

Dank Suche im Internet nach einem Ort der Ruhe, Geborgenheit und Pflege ist es dir gelungen, auf den Lebensort Vielfalt aufmerksam zu werden. Ein Anruf von Hamburg aus in Berlin hatte damals genügt, um dir einen Platz in der Pflege-Wohngemeinschaft im LOV zu sichern. Als künftigem Alters-Unruhe-Sitz. Der dir trotz gesundheitlicher Beeinträchtigung ein sicheres Unterkommen versprach und dieses Versprechen eingelöst hat. Nich ohne erhebliche Anstrengungen deinerseits. Um dich aus dem schwarzen Loch deines Schlaganfalls zu befreien. Was dir mithilfe kompetenter Physiotherapeuten gelungen ist, zu denen ich dich über einen längeren Zeitraum hin mehrmals in der Woche begleitet habe, um hautnah mitzuerleben, wieviel Energie, Lebenswillen und unbeugsame Zuversicht deinerseits mit dabei im Spiel waren, die sich ausgezahlt haben, wenn auch nicht im wünschenswerten Umfang. Trotz Einsatz jener beiden jungen schwulen Therapeuten, deren Physiotherpeutische Praxis in der Schöneberger Fuggerstraße „Just Men“ du regelmäßig frequentiert hast. Deren Jugend und Bereitschaft, dich zu unterstützen, unmitelbarer Bestandteil deiner Überlebensstrategie war. Einer von beiden, Fabian, war aus Sympasthie für dich sogar zu  Hausbesuchen im Lebensort Vielfalt bereit. Leider hat er sich lange vor dir bereits für immer von uns verabschiedet, weil auch die Jugend nich immer ein sicherer Scheck und Wechsel auf die Zukunft ist.

Immerhin ist es dir, trotz Rollstuhls, gelungen, ein wenigstens annäherndes Maß an Mobilität wiederzugewinnen, das dir ermöglicht hat, Berlins vielfältige Möglichkeiten wenigstens ansatzweise zu nutzen, und zwar in weitaus höherem Maß, als es zu Beginn deines Aufenthalts hier vorstellbar war. Geboren und aufgewachsen in Northampton in Wales, von wo aus es dich in den 1960er Jahren ins Swinging London verschlagen hat, der damaligen Welthauptstadt der Mode und Popmusik. Angesiedelt zwischen der Abbey Road der Beatles und Mary Quant, der Erfinderin des Minirock. Nach einem Studium in Oxford warst du am Royal Court Theater in London tätig und später als Musikmanager im Einsatz, beispielweise von Cat Stevens. Was mit Einladungen in die entsprechenden Kreise Londons verbunden war. Einschließlich solcher zum Tee bei Queen Mum, die bekannt dafür war, diesen gerne mit Hochprozentigem angereichert zu haben.

Nach einem zwischenzeitlichen Aufenthal in Sidney/Ausstralien, hast du dich später in  Hamburg niedergelassen, als Mitarbeiter der Schallplattenfirma Polydor. Außerdem warst du  viele Jahre als Übersetzer tätig, dank selbstverständlicher Sprachkenntnisse der deutschen, französischen, italienischen und spanischen Sprache, als Multitalent und Sprachgenie. Mit Wurzeln in Wales, als deiner Heimat, ihren Drachen im Wappen, um die Tür deines Zimmer in der Pflege-WG im Lebensort Vielfalt zu bewachen.

Über Jahre hin, die davon bestimmt waren, dich von deinem nicht kleinzukriegenden Lebenswillen und -Hunger leiten zu lassen. Im Wissen darum, immer nur annähernd befriedigende Ergebnisse zu erzielen. Trotzdem hast du dir deinen Anspruch darauf bewahrt. Als Voraussetzung dafür, dir Berlin in seinen vielfältigen Facetten zu erschließen. Worüber du am 30. März 2017, also vor zwei Jahren, auf der Dritten Seite des Tagesspiegels Auskunft gabst. Auf beredte Weise und in hinreißend schrillem und glamourösem Outfit – bunte Gltizerjacke, Federboa und rosa Kopfschmuck, als deinen Markenzeichen. Den Blick der Welt zugewandt, voller Neugier auf alles, was dir das Leben versprochen hat. Im unmittelbaren Kontakt mit deinem Smartphone, als Nabelschnur und Verbindung mit der Welt. Zur Herstellung ganz neuer Kontakte. Beispielsweise im Rahmen der regelmäßigen Teilnahme am  CSD oder Trauermarsch der Aidshilfe. Und nachts im SchwuZ oder tagsüber in der AHA, sowie abends im Neuköllner Revuetheater von Juwelia, deren Anblick genügte, um dich ihr verwand zu fühlen, als Alki-Nympho-Transe Rita the Ruin,  deinem neuen, androgynen Selbstverständnis.

Oliver, Mitarbeiter im Netzwerk Anders Altern der Schwulenberatung Berlin, erinnert sich auch an eine nächtliche Begegnung mit dir, beim Auftritt junger schwuler Poeten, die ihre Lyrik nackt zum Vortrag brachten. Einer Erfahrung ganz nach deinem Geschmack. Der dich von anderen Mitbewohnern deiner Pflege-WG unterschied. Verbunden mit dem Vorwurf ihrer Reduktion auf drei Mahlzeiten am Tag und das tägliche TV-Programm. Trotzdem haben dich mit ihnen die Notwendigkeiten des täglichen Lebens verbunden. Beispielsweise beim sommerlichen Sonnenbad im hauseigenen Garten. Von dem alle Bewohner hoffen, ihnen noch lange erhalten zu bleiben. Weil er gerade den Nachbarn in der Pflege-WG als Lebenselixier dient, und nicht nur ihnen, um auch noch die letzten  Sonnenstrahlen zu genießen – vor Einbruch der Nacht, als dem unausgesprochenen  Versprechen darauf, ungeahnte Erwartungen zu erfüllen, in Gestalt deiner regelmäßigen Exkursionen ins queere Nachtleben Berlins. Soweit es einem als Rollstuhlfahrer zugänglich ist. Du jedenfalls hast regen Gebrauch davon gemacht, was bewundernswert war.

Nach einem aufregenden Leben in London, Ausstralien und später in Hamburgs Hafencity, mit Eigentumswohung dort und Ferienhaus in der Bretagne. Und mit der Bereitschaft deine Geburtstage mit zahlreichen deiner Freunde zu feiern, die es sich gefallen  lassen mussten, sie in den Flieger nach Rom zu packen. Verbunden mit der Einladung, gemeinsam auf der Via Veneto ein Fass aufzumachen. Das alles gehörte unterm Dach des Lebensort Vielfalt der Vergangenheit an. Trotzdem hast du die Gelegenheit ergriffen, zu Genießen, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit des Publikums im „Wilde Oscar“ zu stehen – ob als Mitglied der Theatergruppe „Rosa Falten“ oder beim  Modetheaterspektakels „Gay not grey“. Wobei es dir gelungen ist, einen nicht halb so alten, muskelstarken Mitakteur zu gewinnen, dich, als grellgeschminkten Hafennutte, aus dem Rollstuhl auf die Bühne zu hieven. Um dafür ungeteilten Beifall zu finden, als deinem Lebenselexier und einsamem  Lichtblick, in einem an Rückschlägen nicht armen Leben.

Vielleicht bedeutete es  einen Akt der Rache deiner Mitbewohner, für deine Kritik an ihnen, als sie dir nach Jahren des dir zu verdankenden Genusses gefüllter türkischer Teigtaschen zu verstehen gaben, mangels Gschmascks daran, gerne darauf verzichten zu wollen. Ohne zu ahnen, dies dem Charme des jungen türkischen Gemüsehändlers Dennis in seinem Laden an der Wilmersdorfer Straße zu verdanken. Der es sich gerne gefallen ließ, sich von dir anhimmeln zu lassen. Was ab diesem Zeitpunkt dann leider Geschichte war. Weil du dich danach nicht wieder in seinem Laden hast blicken lassen. Um stattdessen, zu Beginn jeden Frühlings, das leckere Eis bei „Eismichel“ am Karl-August-Platz zu genießen, zu dem wir über viele Jahre hin, immer jeweils mittwochs, pünktlich ab elf Uhr vormittags, gemeinsam, (ich im Besitz des „Rollstuhlführerscheins“) unterwegs waren. Um für Nachschub an Blumenschmuck als Tischdekorarion für deine Pflege-WG zu sorgen. Bis es mit deinem Umzug in eine eigene kleine, 40-Quadratmeter-Wohnung im LOV, mit Balkon und Ausblick in den Garten auch damit vorbei war. Mit dem Umzug in eigene vier Wände ist es dir gelungen, einen letzten Sieg über die Kräfte der Dunkelheit davonzutragen, die dich ab diesem Zeitpunk im Visier hatten, um dich nicht wieder aus den Klauen zu lassen.

Abgesehen von einsamen Lichblicken, beispielsweise in Gestalt deiner Teilnahme am aufregenden Filmprojekt beider Transaktivisten Naomi Noah Donath und Henry Böttcher und ihres Streifens „Loud Pride – Quiet Riot“, aus Anlass des 40. CSD in Berlin vor einem Jahr. Mit uns beiden und 38 anderen zahlreichen Mitwirkenden, zur Abbildung des gesamten breiten Spekrums der queeren Community Berlins. Von denen nur du die Chuzpe besessen hast, das Publikum im Saal des Delphi de Lux-Filmtheaters am Zoo von der Leinwand herab mit dem Wunsch für dich einzunehmen: „Auf weiteres fröhliches ficken!“ Als Ausdruck deiner Lust an der Provokation. Political Correctness war nicht dein Ding. Gepaart mit dem für dich  typisch britischen Humor.

Heute ist es an mir, zum Ausdruck zu bringen, dich schmerzlich zu vermissen. Als Ergebnis deiner während der letzten Monate spürbar abnehmenden Lebensenergie. Weshalb deine letzten Tage vom Aufenthalt in einem Hospiz bestimmt waren, wo du dich für immer verabschiedet hast.

Farewell, my Dear, and good Luck! Wohin immer es dich inzwischen verschlagen hat. Mein Wunsch für dich besteht in deinem Wiedersehen mit Manfred, jener Pflegekraft im LOV, die sich, dank Suizids, lange vor dir bereits versabschiedet hat. Als der von dir zuletzt in einem Video von Rosenstolz im vergangenen Dezember beschworenen großen aber tragischen Liebe deines Lebens.

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