Trümmertunten im Märkischen Museum Berlin. Ein Rückblick auf den Tunten-Streit, als einer aufregenden Zeit des Aufbruchs und der großen Gefühle.

Vortrag aus Anlass einer Veranstaltung von Patsy L’Amour La Love und dem Queeren Kulturhaus Berlin von Queer Nations am Abend des 26. September 2019 im Märkischen Museum Berlin.Im Rückblick auf Stonewall und die Folgen, sowie die Reform des § 175 vor 50 Jahren, möchte ich zum Ausdruck bringen, dass ich glücklich darüber bin, dass Deutschland heute nicht mehr das Land ist, in dem ich vor 74 Jahren geboren und aufgewachsen bin, was auch gut so ist. Und was die Queere Community Berlins betrifft, können wir davon ausgehen, dass sie heute auf einem sehr viel breiteren Fundament steht, als noch aus Anlass der Pfingstaktion der HAW 1973, als Tunten im Rahmen der Demonstration am Pfingstmontag, mit 800 lesbischen und schwulen Teilnehmer*Innen, noch keine Rolle spielten und nur unter ferner liefen rangierten.

In einem Dornröschenschlaf befangen, aus dem uns teilnehmende Tunten aus Rom und Paris mittels Weckrufs wachküssten. Verbunden mit unverhältnismäßig starker Kritik an ihnen, die überwiegend männlichen Teilnehmern zu verdanken war. Von denen sich Tunten dank schrillen exaltierten und um Aufmerksamkeit bemühten Auftretens den Vorwurf gefallen lassen mussten, damit zur Verfälschung des Bilds des schwulen Mannes als solchem beizutragen. Was nachhaltige Reaktionen nach sich zog. Gipfelnd in erheblichem Streit darum, abends in der HAW (Homosexuelle Aktion Westberlin). Im Rahmen einer Veranstaltung, die Tunten zum Anlass nahmen, sich erstmals spontan zu offenbaren, um unmittelbar, also aus dem Stand heraus, die Gruppe der Feministen in der HAW zu gründen. Mit Mechthild Freifrau von Sperrmüll an unserer Spitze. Inkarnation der sogenannten Trümmertunte, als solche wir auf ihre und Lilli Donners Anregung hin, der Mutter aller Tunten in der HAW, später an einem Subbotnik der DDR-Reichsbahn beteiligt waren: in Pumps, Kittelschürzen und Kopftuch. Ohne Handschuhe zum Schutz der beim Steine schleppen arg in Mitleidenschaft gezogenen Hände. Als einem eher symbolischen Akt, als einem praktischen und nützlichen Einsatz, um nur einen Zweck zu erfüllen, den Veranstaltern,  von uns als Tunten überrascht, als Aushängeschild zu dienen, und uns als Tunten Aufmerksamkeit zu verschaffen.

Auch bei anderer gemeinschaftlicher Aktionen unerwegs, beispielsweise in Berlins Straßen, in der U-Bahn, in Kreuzberger Türkenkneipen, oder auf dem Oberdeck des Nachtbusses zwischen Neukölln und Nollendorfplatz. Mit einer Gruppe Schwarzer, Anhänger der Black Panther Bewegung konfrontiert, die uns mit ihrer geballten Faust begegneten und dem Gruß; „Hello Gay Sisters!“ Als Balsam für unsere Seele.

Vor dem Hintergrund der mit einem solchen Befreiungsschlag verbundenen Erkenntnis, dass die Kritik der Jungs in der HAW an uns, offenbar in ihrem Eindruck begründet war, sich außerstande zu sehen, ihren Traum, sich anderen gesellschaftlichen Gruppen und Organisationen wie Parteien und Gewerkschaften als potenzielle Bündnispartner anzu-bieten, wirklich werden zu lassen. Weil das mit Tunten, dank für sie damit verbundenen unzumutbaren Anpassungsdrucks, nicht verwirklichbar war.

Während wir uns in der HAW zunächst auf das Studium des Berichts Heinz Hegers „Die Männer mit dem Rosa Winkel“ konzentrierten und auf die Auswertung von Recherchen im Dokumenatations-Zentrum des Roten Kreuz im hessischen Bad Arolsen, wo die Akten schwuler KZ-Häftlinge einsehbar waren, Zur Auswertung dieser Erfahrung haben wir uns zum Wochenendaufenthalt im Kreis Lüchow-Danneberg, damals Zonenrandgebiet, verabredet, um uns dort zur Einführung des Rosa Winkel schwuler KZ-Häftlinge, als gemeinsamem Erkennungszeichen zu entschließen. Mit der Absicht, auch den Jungs in der HAW zu ermöglichen, an den  Erfahrungen als Tunten zu partizipieren, zur Sichtbarmachung unserer Identität und homosexuellen Orientierung beizutragen.

Zur Entspannung davon haben wir uns zur Teilnahme an einem Luftwaffenball in der Nachbarschaft entschlossen, um diesen als Tunten im Fummel aufzumischen, um jedoch prompt am Widerstand der Veranstalter zu scheitern, die uns den Zutritt verwehrten. Trotzdem haben wir nach unserer Rückkeher nach Berlin verkündet, es in Pompadour mit der Ballkönigin dieser Veranstaltung zu tun zu haben. Sie war diejenige von uns, deren Bild am Pfingstmontag abends in der ARD-Tagesschau über deutsche Bildschirme flimmerte. Was auch ihrer Mutter im Saarland nicht entgangen war, die mit einem Anruf in Berlin darauf reagierte, um darauf aufmerksam zu machen, sich nicht mehr aus dem Haus zu trauen. Weil sie sicher war, dass ihren Nachbarn nicht entgangen ist, es in ihrem Sohn Helmut in Berlin mit einer Tunte zu tun zu haben.

Wo Pompi und ich ein halbes Jahr lang mit Mechthild Freifrau von Sperrmüll, jeweils sonntags gegen elf Uhr vormittags zum Frühstück verabredet waren. Zur Gründung einer gemeinsamen Tunten-Wohngemeinschaft. Die auch zustande kam. Aber ohne Mechthild, als dominantem, intellektuellem und rhetorisch begabten Kopf der Gruppe. Um zwar mit einem schlechten Gewissen darauf zu reagieren, ihr unseren Freund Nicki als Mitbewohner*In vorgezogen zu haben, aber auch mit dem Gefühl der Erleichterung, nich länger Mechthilds Einflussnahme ausgesetzt zu sein.

Mit Anna haben mich dagegen andere Erfahrungen verbunden. Weil ich mit ihr zu zweit und im Fummel auf dem Rücksitz ihres Motorrads durch Berlin unterwegs war. Unter anderem aus Anlass eines Treffens linker Gruppen im Sozialistischen Zentrum in der Moabiter Stephanstraße. Unter deren Teilnehmern wir als Menschen von einem anderen Stern in Erscheinung traten und aus dem Rahmen fielen. Ebenso wie ein anderer Teilnehmer, der das Aufsehen um seine Person  zu genießen schien. Der junge 17-jährige Ezra Gerhardt, Sohn der bekannten Verlegerin des feministischen Manifests Virgina Woolfs „Ein Zimmer für sich allein“: Renat Gerhardt. Ihr Sohn Ezra trat als Chef einer Gruppe maoistischer Roter Garden im Mao-Look auf. In dessen Augen wir als Tunten über die Eigenschaft von Aliens verfügten. Trotzden würden Anna und ich mit ihm sehr gerne 1000 Blumen zum Blühen gebracht haben, nach Maos Motto: „Kampf, Kritik und Umgestaltung“ oder: Drei Schritte vor und zwei zurück.

Leider waren wir mangels Erfolgs darauf angewiesen, uns auf die tuntische Solidarität zu besinnen, und auf die Bereitschaft zum Verzicht darauf, uns um seinetwillen in die Wolle zu kriegen und in den Haaren zu liegen und die Augen auszukratzen.

Unsere tuntischen Aktivitäten kannten aber noch andere Adressaten. Beispielsweise unsere Familien, unseren Freundeskreis und Arbeitsplatz. Wie im Fall Babyjane Hudsons, anslässlich ihres Outings Als Tunte und Lehrer*In im Fummel vor ihrer Schulklasse. Mit dem Ergebnis ihres  frislosen Rausschmisses aus dem Schuldienst. Dank  erfolgreichen Widerstands dagegen, unterstützt von der Gruppe schwuler Lehrer und Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft GEW, hat sie dazu beigetragen, dass Homosexualität ab diesem Zeitpunkt im Schuldienst kein Kündigungsgrund mehr war.

Mit dem Maler Salomé durfte ich vor einigen Wochen, ihren 65. Geburtstag feiern, bei dem wir uns einig waren, Plenen der HAW in den 1970er Jahren oft nur strickend überstanden zu haben. Nicht dagegen im Fall des sogenannten Luftballonplenums im Sommer 1974. Dank krachender Niederlage unseres Vorschlags zur Einführung des Rosa Winkels in der HAW. Der ab diesem Zeitpunkt fest in unserem Bewusstsein verankert war. Weshalb wir ihn unabhängig vom Erfolg oder der Niederlage in der HAW getragen haben. Gemeinsam mit all denen, die nicht durch letzte Reste und Zuckungen schwulen Selbsthasses  beeinträchtigt waren, oder die ideologische Verblendung derer, die damals die Theorie vertraten, es in der Unerdrückung der Homosexualität nur mit einem Ne-benwiderspruch im Klassenkampf zu tun zu haben. Weil ihnen der Blick über die Mauer in Berlin, nach Moskau, Peking und Havanna durch marxistische Scheuklappen verstellt war.

In einer abschließenden gemeinschaftlichen Aktion hat die Tuntenfraktion der HAW dazu beigetragen, diese 1977 zu begraben, um den  Weg zur Gründung des Berliner SchwuZ im Herbst desselben Jahres freizumachen. Dessen Eröffnung jedoch auch mit Querelen verbunden war: Dem Abriss des Tresens und sogenannten reaktionären Dimmers zur stufenlosen Regulierung der Lichtanlage, einer Gruppe antikapitalistischer Tunten. Andere als sie waren es, die den Schaden wieder behoben haben, und als Tunten am Überlebens des SchwuZ beteiligt waren. Im Rahmen seiner mehr als vierzigjährigen Geschichte mehr als einmal darauf angewiesen, sich erfolgreich neu zu erfinden.

Ohne die Unterstützung der Tunten im SchwuZ würden mein Freund Andreas Pareik und ich, als Initiator*innen des ersten Berliner CSD 1979, uns kaum derart weit vorgewagt haben. Nich ahnend, damit eine Tradition zu begründen. Aber in der Absicht, die damals sehr überschaubare Berliner Communty zehn Jahre nach Stonewall zwar nicht unter einen Hut, aber gemeinsam auf die Straße zu kriegen. Nach dem Motto: Mach dein Schwulsein öffentlich! Während Frauen der Losung folgten: Lesben erhebt euch und die Welt erlebt euch! Mit denen wir als Tunten und Schwule nicht mehr im Gleichschritt und unter Roten Fahnen, sondern tanzend unterwegs waren, als einer befreienden und ermutigenden Erfahrung.

Im Rückblick auf den CSD is unschwer zu erkennen, dass sich Kritik an ihm wie ein roter Faden durch seine vierzigjährige Geschichte zieht, um zuweilen erstaunliche Blüten zu treiben, wie in Köln vor einiger Zeit, zur Reglementierung seiner Teilnehmer*Innen mittels Verhaltensmaßregeln und Kleidervorschriften, um am Widerstand Betroffener zu scheitern, weil Tunten sich nicht spalten lassen.

Im Sommer dieses Jahres, im Juni 2019, ist mir die besondere Ehre der Verleihung der Ehrenmitgliedschaft des Berliner SchwuZ auf Lebenszeit wiederfahren. Als Tunte Daisy. Gemeinsam mit der Boytunte und dem schwulen Publizisten und Akivisten Dirk Ludigs. Nachts um drei, zur Geisterstunde. Eine sehr bewegende Erfahrung, die ich gerne mit ihm geteilt habe, dem ich mich auch im Kampf gegen gesellschaftliche Strömungen verbunden fühle, wie der AfD. Beispielsweise – angesichts ihres Versuchs, transidente, intergeschlechtliche Menschen zu pathologisieren, wie im Fall des Gesetzes zum Dritten Geschlechtseintrag im Bundestag. Oder aus Anlass ihres Beifalls dafür, dass Menschen, vor unmenschlichen Lebensbedingungen auf der Flucht, im Mittelmeer und  Rio Grande ertrinken.

P.S. Geringfügige Abweichungen dieses Vortrags vom Manuskript ergeben sich aus dem Umstand, es aus der Erinnerung zitiert zu haben. Weshalb dies unvermeidlich war.

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