Aristoteles und Dante entdecken die Geheimnisse des Universums

Dem Roman des amerikanischen Autors Benjamin Alire Sáenz gelingt es, das Wesen des klassischen Jugendromans mit dem der abenteuerlichen Entwicklungsgeschichte zu verbinden. Und zwar mit den Mitteln eines verständlichen, aber nicht schlichten, sondern flirrenden und irisierenden Sprachduktus von in Atem haltender Spannung und Durchsichtigkeit.Als krassem Gegensatz zu allen von ihm transportierten Geheimnissen, die über weite Strecken des Romans im Dunkeln bleiben. Sich dem Leser also erst dank  voranschreitender Handlung erschließend. Und zwar wohldosiert und nicht auf einen Schlag. Was den Roman bis zur letzten Seite spannend macht. Dessen Geheimnisse sich selbst seinen jugendlichen Protagonisten nicht auf Anhieb erschließen, sondern auch ihnen über weite Strecken hin verborgen bleiben. Im Widerspruch zur scheinbaren Überschaubarkeit des Romans. Angesiedelt in der Landschaft um El Paso/New Mexiko (USA). Der Heimat mexikanischer Migranten. Von denen es Dantes Familie (Vater Professor, Mutter Psychologin) zu einer akademischen Laufbahn gebracht hat. Im Unterschied zur Familie Aris: Vater Postbote, Mutter Lehrerin.

Beide Jungs begegnen sich beim Schwimmen, das Dante Ari beibringt, als dem Auftakt ihrer Freundschaft. Eingebettet in die El Paso wie die Fassung eines Juwels einschließende Wüstenlandschaft. Vor dem Hintergrund  beider dem mexikanischen Kulturkreis entstammenden Familien. Wobei die Aris von zwei wesentlichen Tabus bestimmt ist. Dem den Vater offenbar traumatisierenden Erfahrung der Teilnahme am Vietnamkrieg. Und jener für die Mutter charakteristische Sprachlosigkeit. Mit der sie auf jene dem älteren Bruder Aris, Bernardo, vorbehaltenen Erfahrungen reagiert. Wovon Ari über keine klar umrissene Vorstellung verfügt. Weil dessen Geheimnis ein ihm nicht zugänglicher Briefumschlag mit seinem Namen birgt. Sich Aris Kenntnis entziehend. Mit der Folge, dauernd daran zu denken.

Einer daramatischen Wende des Romans ist es zu verdanken, dass er Fahrt aufnimmt. Bedingt durch einen Dante drohenden Autounfall. Als Ergebnis seines, einem verletzten Vogel auf der Fahrbahn geltenden Rettungseinsatzes. Um diesen vor weiteren Blessuren in Sicherheit zu bringen. Ari darin bestimmend, Dante davor zu bewahren, unter die Räder zu geraten. Wobei er ihm hilfreich zur Seite springt. Mit der Folge, dass ein sich ihnen in hoher Geschwindigkeit näherndes Fahrzeug nicht Dante erfasst, sondern Ari beide Beine und einen Arm bricht. Um Dantes Familie damit zur Dankbarkeit zu verpflichten, die um Ari besorgt ist, wie um den eigenen Sohn. Was beide betroffene Familien enger zusammenrücken lässt.

Wobei es Dante obliegt, den Freund im Verlauf seiner langwierigen Rekonvaleszenz nicht hängen zu lassen und dessen Isolation zu teilen. In der Absicht, ihm diese mittels Lektüre von Gedichten zu erleichtern, die Ari als Herausforderung empfindet, als solche an sie beide. Die in einer sie prägenden Phase ihrer Entwicklung – zwischen ihrem 15. und 17. Lebensjahr – den Eindruck sich einander öffnender und wechselseitig durchdringender Gefährten vermitteln. Vor dem Hintergrund sich weiter überschlagender Ereignisse und einer rasant voranschreitenden Welt. Von der Ari über keine klar umrissene Vorstellung verfügt. Im Unterschied und Gegensatz zu Dante,  als Ergebnis von dessen Begabung und Leidenschaft für das Schwimmen und zeichnerisches Talent. Ari, dank Geschenk Dantes, den Eindruck vermittelnd, nichts damit anzufangen zu wissen.

Während ein vorübergehender Studienaufenthalt in Chicago Dantes Familie veranlasst, El Paso für die Dauer eines Jahres den Rücken zu kehren, sind beide Freunde darauf angewiesen, die Zeit mittels Briefkontakts zu überbrücken. Wobei sich Dante als weitaus entschiedenerer Briefschreiber entpuppt. Der Ari u.a. mit der Erfahrung eines Kussexperiments mit einer weiblichen Aspirantin konfrontiert und mit dem Ergebnis, ihn offenbar kalt gelassen zu haben. Kein Geheimnis daraus machend. Während sich Ari Dantes sexuell motivierten Anspielungen verschließt. Um sich auch gegen dessen masturbatorische Praxis zu verwahren.  Zwar in mancher Nacht, jäh den Armen des Schlafs entrissen, davon wach, als Opfer des ihn peinigenden Verlangens danach, Hand an sich zu legen. Vorziehend, mittels Aufenthalts unter der kalten Brause Abhilfe davon zu schaffen.

In Dantes Abwesenheit und während des Aufenthalts von dessen Familie in Chicago, vertreibt sich Ari mit dem Erwerb des Führerscheins die Zeit. Und mit dem Geschenk seines Vaters in Gestalt eines Pickup, als fahrbarem Untersatz. Mit dem Ari El Paso und dessen Umgebung unsicher macht. Erst allein, doch nach Dantes Rückkehr aus Chicago, mit jenem gemeinsam. Um die Zeit zwischen der Highschool und dem College damit zu überbrücken. Dafür erscheint Ari auch die Arbeit in einer Fastfood-Braterei nützlich, um eigenes Geld zu verdienen. Verbunden mit ersten ihn alkoholisierenden Erfahrungen, um damit Abstand zu sich selbst zu gewinnen und neue Dimensionen des Erlebens zu erschließen. Nicht zögernd, auch Dante darin einzubeziehen. Während er sich Mädchen gegenüber, die sich um seine Aufmerksamkeit bemühen, weiter indifferent verhält.

Auch mithilfe einer zugelaufenen Hündin ist Ari in der Lage, sich ihrer als Ablenkung von sich selbst zu bedienen. Die unweigerlich mit der Zeit zum beliebten Hätscheltier beider Familien mutiert. Abgelöst von mit Dante geteilten Erfahrungen. Etwa der des Aufenthalts in der Wüste. Nackt und betrunken im Regen tanzend. Unter einem die Wüste weithin überstrahlenden Sternenhimmel. Ihnen Ausblick in das von ihnen zu entdeckende Universum und dessen Geheimnisse vermittelnd. Gipfelnd im von beiden, Ari und Dante gemeinsam absolvierten Kussexperiment, das Ari zum Anlass nimmt, seinem Freund gegenüber keinen Zweifel daran zu lassen, nicht sonderlich viel damit zu verbinden.

Dante nicht ersparend, ihn damit zu konfrontieren, ihn kalt zu lassen, der sich zum Kontakt mit einem Gleichaltrigen entschließt, der ihm zu verstehen gibt, keine Probleme damit zu haben, ihn zu küssen. Was Dante zum Verhängnis wird. Weil eine sie beobachtende Jugendgang ihren Anblick zum Anlass nimmt, Dante in einer dunklen Gasse krankenhausreif zu prügeln. Ari nicht ersparend, sich im Gefühl abgrundtiefen Bedauerns zu verausgaben, dass er diesmal nicht rechtzeitig zur Stelle war, um Dante dergleichen zu ersparen.

Etwa jenen Zeitpunkt beschreibend, an dem der Tod einer Tante Aris ihm zur Erkenntnis ihrer lesbischen Orientierung verhilft und zur daraus resultierenden Erfahrung, sich im Rahmen ihrer Familie damit isoliert zu haben.  Zur Außenseiterin degradiert. Aris Eltern nicht daran hindernd, ihren Sohn im Alter von vier Jahren mehrere Monate ihrer Obhut anzuvertrauen. Um ihn damit aus dem Haus zu haben, also zu vermeiden, Wind davon zu kriegen, es in seinem älteren Bruder Bernardo mit einem Gewalttäter zu tun zu haben, von dem Ari nicht mehr weiß, als seine Strafe dafür im Knast abzusitzen.

In Kenntnis der Identität eines der Angreifer Dantes nicht zögernd, jenen zur Verantwortung zu ziehen. Wobei er ihm im Handgemenge die Nase bricht. Zum nicht geringen Entsetzen der Mutter darüber, die Aris Wut zum Anlass nimmt, Parallelen zu ziehen, zwischen dem Bruder Bernardo und ihm.

Mithilfe des Vaters, ihm seine ihn traumatisierenden Erfahrungen im Vietnamkrieg enthüllend, gelingt es Ari jedoch, wider Tritt zu fassen und Wind unter die Flügel zu kriegen. Gipfelnd in einem weiteren mit Dante gemeinsam absolvierten Wüstentrip. Der die Wende zwischen ihnen bringt.

Um zu vermeiden, sie vorwegzunehmen, möchte ich mich darauf beschränken, zum Ausdruck zu bringen, dass der Autor des Romans sich darauf versteht, seinen Leser von der ersten bis zur letzten Seite in Atem zu halten. Sein 380-Seiten-Werk all jenen Jungs widmend, die lernen müssen, nach eigenen Regeln zu spielen.

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